Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren,IV-Anlehre -was wird aus unseren anderen Kindern?

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Doris W.
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Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren,IV-Anlehre -was wird aus unseren anderen Kindern?

Beitrag von Doris W. » 24. Mai 2005, 20:53

Das Thema stammt von der ehemaligen Userin marea - da dieses Thema ein sehr wichtiges ist, das immer wieder Familien beschäftigt, lassen wir es stehen

von marea » So, 22 Mai 2005 22:46
Was wird aus unseren anderen Kindern? Ist jemand schon in dieser Situation?
Klar, in der Schule wird das Thema bald aufgegriffen, aber ich möchte mich halt gerne schon mit jemandem austauschen und leider habe ich zu anderen Eltern der Schule keinen Kontakt.
LG
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Hallo,

ich arbeite im der Stiftung (Kinderheim) Bühl in Wädenswil, welche unter anderem auch Anlehrplätze etc. anbietet. Ich denke, da müsstest du dich mal weiter erkundigen (ich arbeite mit den kleineren Kindern, und kann darum über die Anlehren nicht so genau Bescheid geben). Es ist sicher auch möglich, dass Ihr mal vorbeischauen könnt. https://stiftung-buehl.ch/wir-bieten/

Liebe Grüsse

Doris

Anlehren und Attestausbildungen (Schweiz) Berufswahl behinderter Menschen

Auf

www.berufe-easy.ch

könnt ihr Kurzbeschreibungen der wichtigsten Anlehrberufen und Attestausbildungen (EBA) lesen.
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Beatrice
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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren für das andere Kind

Beitrag von Beatrice » 23. Februar 2020, 19:54

IV Pferdewart - eine innovative Eingliederungsmassnahme
Für eine Ausbildung im Sinne der IV, müssen kumulativ folgende Bedingungen erfüllt sein: Die versicherte Person muss in der beruflichen Ausbildung wesentlich eingeschränkt sein, sie muss eingliederungsfähig sein, die Ausbildung muss einfach und zweckmässig sein, und auf die Eingliederung in das Erwerbsleben ausgerichtet sein. Geeignet ist diese zweijährige Ausbildung für Menschen mit besonderen Lernbedürfnissen, welche eine IV-Anlehre absolvieren werden, sich beruflich entwickeln und an einer fachspezifischen Ausbildung interessiert sind.

Traumberuf Pferdewart / Pferdewartin
Der Ponyhof Schwarzenberg in Gontenschwil bietet Jugendlichen Mädchen mit besonderen Lernbedürfnissen eine IV- Anlehre an.
Sind Pferde und Ponys Deine Lieblingstiere?
Arbeitest Du gerne Draussen, – auch wenn es regnet oder schneit?
Arbeitest Du gerne mit den Händen?
Arbeitest Du gerne in einem Team?
Möchtest Du lernen, wie diese Tiere gepflegt werden müssen?
wie ihre Ställe ausgemistet werden,
wie ihre Umgebung, wie Reithalle und Paddocks gepflegt werden,
wie ihre Sättel und Zaumzeuge geputzt werden,
wie ihre Weiden gepflegt werden,
wie Du kleineren Kindern im Umgang mit den Pferden und Ponys behilflich sein kannst,
wie Du kleineren Kindern helfen kannst, ihr Pony für die Reitstunde vorzubereiten,
wie man für mehrere Leute eine Mahlzeit zubereitet?


Dauer der Ausbildung
Die Anlehre dauert in der Regel zwei Jahre.
Zielsetzung:
Als übergeordnetes Ziel der Anlehre gilt die Förderung grösstmöglicher Selbständigkeit im Arbeitsbereich und der Lebenspraxis.

Die einzelnen Bewertungspunkte bestehen aus Arbeitsverhalten / Fachliche Fertigkeiten, Grundausbildung / Lebenspraktische Fähigkeiten / Fachkunde. In halbjährlich stattfindenden Standortbestimmungen mit allen Beteiligten werden die Zielsetzungen dieser Anlehre überprüft, angepasst und neu gesetzt.
Wir legen in der Ausbildung, grössten Wert auf die Integration in ein ganz normales Umfeld. Das heisst, die Lernenden werden in den gut funktionierenden Reitbetrieb, mit
→ Reitunterricht für Kinder ohne eine Behinderung,
→ heilpädagogisches Reiten und den
→ Kinderferien
eingebunden und geniessen dadurch ein sehr breites Ausbildungs- und Lernfeld, von der
→ Kinderbetreuung über
→ den ganzen Stallbereich mit dem Umgang mit den Pferden und Ponys,
→ bis hin zu haushalterischen Aufgaben.
Unser Fokus gilt bereits ganz früh, der zukünftigen Stellenfindung und der Kontaktaufnahme zu potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern nach der Ausbildung.
Ebenso bieten wir Hand für individuelle Übergangslösungen, bis zur definitiven Neuorientierung der Lernenden, nach der Ausbildung bei uns. Wir fühlen uns auch nach der Ausbildung noch verantwortlich für das Wohlergehen der jungen Menschen und helfen gerne auch nach einem Austritt mit Ideen und Lösungsvorschlägen weiter.

Kontakt via:
http://www.ponyhof.ch/default.aspx?navid=1&siteid=37
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Beatrice
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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren für das andere Kind

Beitrag von Beatrice » 23. Februar 2020, 19:57

Aus der Procap-Rechtsecke (Treffpunkt Mai 2013)

Ausbildung in geschütztem Rahmen

Mein Sohn begann die zweijährige Praktische Ausbildung nach Insos zum Gärtnerpraktiker. Die IV erteilte nur für ein Ausbildungsjahr Kostengutsprache. Eine Verlängerung werde später geprüft. Uns verunsichert diese Situation sehr. Isabelle H.,Amriswil

Antwort von Martin Boltshauser
Gemäss IV ist die Verlängerung fürs zweite Jahre möglich. Sie will aber bei der späteren Prüfung «strengere Kriterien» für die Kostengutsprache anwenden. Verständlich, dass Sie diese Situation verunsichert, da Sie nicht wissen, ob Ihr Sohn nun die ganze Ausbildung machen kann.

Verschlechterung der Praxis
Der nationale Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung (Insos) hat für gewisse Berufszweige mit der sogenannten «Praktischen Ausbildung» (PrA) nach Insos eine standardisierte, auf zwei Jahre ausgelegte IV-Anlehre geschaffen. Diese ist ideal für Menschen, die ein geschütztes Umfeld brauchen und schulisch die Attestausbildung (noch) nicht schaffen. Bis vor kurzen sprachen die IV-Stellen diese PrA-Ausbildungen für zwei Jahre zu. Seit einer Praxisänderung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) werden IV-Anlehre und PrA-Ausbildung nur noch für ein Jahr zugesprochen. Das zweite Ausbildungsjahr soll nur denjenigen zugesprochen werden, die später im ersten Arbeitsmarkt arbeiten können und voraussichtlich keine ganze Rente beziehen werden.

Erfolg vor Gericht
Der Procap-Rechtsdienst wehrte sich in zwei Fällen erfolgreich gegen diese Praxis. Das Sozialversicherungsgericht Zürich weichte in zwei Urteilen die restriktive Praxis der IV auf. Es entschied, dass das zweite Ausbildungsjahr nicht hauptsächlich davon abhängig gemacht werden dürfe, ob jemand nach Abschluss der Ausbildung eine ganze oder nur eine Teilrente der IV erhalten wird.

Zusammenarbeit mit IV
Das zürcherische Gericht bestätigte, dass die Voraussetzungen an ein zweites Ausbildungsjahr nicht allzu hoch angesetzt werden dürfen. Es kann also sinnvoll sein, sich für das zweite Jahr zu wehren. Das Problem ist, dass ein Gerichtsverfahren meist zu lange dauert und das Urteil erst eintrifft, wenn das zweite Ausbildungsjahr schon begonnen hat. Es ist deshalb wichtig, rechtzeitig und konstruktiv mit der IV zusammenzuarbeiten, um auf den Rechtsweg möglichst zu verzichten. Hierfür ist die Mitarbeit der ausbildenden Institution entscheidend und möglichst frühzeitige Beratung bei Procap zu empfehlen.
Dabei steht etwa die Frage im Vordergrund, ob Ihr Sohn die Ausbildung aufgrund der bisherigen Erfahrungen erfolgreich wird abschliessen können und eine realistische Aussicht besteht, dass eine Integration in den freien Arbeitsmarkt möglich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, wird die IV unter Umständen keine Rente bewilligen, da Ihr Sohn aus Sicht der Versicherung ja genügend ausgebildet ist, so dass sich diese nicht mehr als zuständig erachtet. Leider würde dies bedeuten, dass weder eine Arbeitsstelle gefunden wird, noch eine Rente bezahlt wird.

Martin Boltshauser, Rechtsanwalt, Leiter des Procap-Rechtsdiensts

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Ausbildungsmöglichkeit im Seminarhotel Lihn

Im aussichtsreich gelegenen Seminarhotel Lihn in Filzbach GL bekommen Jugendliche und junge Menschen mit Beeinträchtigung eine Chance auf eine gute, fundierte und ihren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung in einer wertschätzenden Umgebung.
Gäste des Seminarhotels Lihn rühmen so auch immer die vorzügliche Bedienung und die Freundlichkeit vor Ort.
Ferner haben besondere Jugendliche die Möglichkeit zur Mitarbeit im Dorfladen oder der Postagentur.

Anmerkung von Bea: Meine Schwester und meine Mutter waren kürzlich im Seminarhotel Lihn, schwärmten sehr davon und gaben mir den Tipp, das hier zu veröffentlichen

Für weiterführende Infos siehe bitte:
https://www.menzihuus.ch/eingliedern/seminarhotel-lihn
https://www.menzihuus.ch/eingliedern
https://www.lihn.ch/

Das Seminarhotel empfiehlt sich natürlich auch mal für Ferien in Filzbach. Um dort zu wohnen oder zu essen.
https://www.lihn.ch/ferien/barrierefreie-ferien

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Die Stiftung Bühl in Wädenswil hat sich ganz der Integration von behinderten jungen Menschen verschrieben und bietet ihnen Ausbildungen und Wohnplatz an, um sich evtl. auch im 1. Arbeitsmarkt danach integrieren zu können. Dazu werden im Jahr 2020 diverse Informationsveranstaltungen zur Thematik: Berufswahl- und Lebensvorbereitung, Berufsbildung und Wohnangebote für Jugendliche angeboten.
Daten siehe unter:
https://stiftung-buehl.ch/ueber-uns/agenda/
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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren für das andere Kind

Beitrag von Beatrice » 23. Februar 2020, 20:01

Im St.Galler Tagblatt, Teil Ostschweiz, Seite 29 der Ausgabe vom Donnerstag, 12. September 2013 gab es diesen ermutigenden Bericht, der für einige Zeit auch mit einem Foto von Lucian noch online zu finden ist auf:
http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ostsc ... 94,3533190

Der Pflanzen-Zögling

Für Jugendliche mit Behinderung ist es schwierig, eine Ausbildungsstelle im regulären Arbeitsmarkt zu erhalten. Lucian Toszeghi hat bei Blumen Gschwend einen Platz und in Viktor Gschwend einen geduldigen Lehrmeister gefunden.

von NOEMI HEULE


NEUKIRCH-EGNACH/TG. Lucian Toszeghi muss sich konzentrieren. Behutsam – ja fast schon andächtig setzt er den Wasserschlauch an und begiesst Pflänzchen für Pflänzchen. Einen Fuss vor den anderen setzend, tastet er sich durch Reihen von Topfpflanzen. Immer darauf bedacht, keine der Pflanzen umzuwerfen. Gelingt ihm dies nicht, setzt er sie liebevoll wieder an ihren Platz.

Pflanzen giessen – was andere mühelos meistern, ist für den 19-Jährigen eine Herausforderung. Denn Lucian ist körperlich und geistig behindert. Dass er trotzdem eine Lehrstelle gefunden hat, verdankt er seinem Chef Viktor Gschwend.

«Ein lässiger Typ»

Der Gärtnermeister aus Neukirch-Egnach bietet eine von wenigen Ausbildungsstellen für Jugendliche mit Beeinträchtigung an. Motiviert dazu wurde er von Lucians Eltern.

Als sie ihn wegen einer Lehrstelle anfragten, war er zuerst skeptisch und hatte «riesigen Respekt». Noch nie hatte er mit einer behinderten Person zusammengearbeitet. Nach einem Schnupperkurs sagte er dennoch zu, «weil Lucian einfach ein lässiger Typ ist».

Dass es auf der menschlichen Ebene stimmt, ist für Viktor Gschwend ausschlaggebend für das Gelingen dieses Projekts. Deshalb musste auch das ganze Team hinter der Entscheidung stehen und sagen: «Moll, das machen wir!» Für Kollegin Flavia Kern ist das eine Selbstverständlichkeit: «Lucian ist eine Bereicherung.» Gerade in stressigen Zeiten tue es gut, seinetwegen auch einmal auf die Bremse zu treten.

Mit Liebe am Werk

Bei Lucian dauert eben alles ein bisschen länger. «Er hat sein eigenes Tempo», lacht Lehrmeister Gschwend. Während seine Mitarbeiter emsig am Werk seien, gehe es bei ihm oft gemächlich voran. «Aber er ist immer mit sehr viel Liebe dabei», lobt der Gärtnermeister. Sein Zögling antwortet auf die Frage, was denn sein Traumberuf sei, denn auch kurz und knapp: «Gärtner!»

Am liebsten ist der Neukirch-Egnacher in der Natur und bei den Pflanzen. Neben der praktischen Tätigkeit in der Gärtnerei besucht Lucian einmal die Woche die Schule Auboden. Diese Institution für berufliches und soziales Lernen in Brunnadern bietet insgesamt vier Ausbildungsplätze ausserhalb der geschützten Lernumgebung an. Ziel der zweijährigen Lehrzeit ist der Übertritt in den regulären Arbeitsmarkt. Die Erfahrungen der Invalidenversicherung (IV) zeigen, dass die Berufschancen steigen, wenn bereits die Ausbildung ausserhalb des geschützten Rahmens erfolgte.

Zustupf von der IV

Lucians Lehrlingslohn wird von der IV übernommen. Viktor Gschwend schätzt diesen Zustupf: «Anders ginge es nicht», meint er, «denn mit der Ausbildungsstelle ist doch ein Mehraufwand verbunden.»

Diesen Einsatz will Pro Infirmis belohnen (siehe Beitrag im Anschluss). Viktor Gschwend freut sich über diese Wertschätzung. Denn trotz der positiven Erfahrungen mit Lucian sei es auch immer eine Herausforderung, ihm gerecht zu werden. Dennoch kann er sich vorstellen, wieder eine solche Stelle anzubieten, «nach einem Jahr Verschnaufpause».

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Wettbewerb Pro Infirmis Integration durch Ausbildung

Mit dem Preis «Im Scheinwerferlicht» würdigt Pro Infirmis dieses Jahr Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, welche Jugendliche mit Behinderung ausbilden und damit einen wesentlichen Beitrag zu deren Integration leisten. Für Jugendliche mit Behinderung sei es besonders schwierig, ihren Berufswunsch zu erfüllen, da das Lehrstellenangebot im regulären Arbeitsmarkt sehr begrenzt sei, heisst es in der Ausschreibung. Der Wettbewerb soll denn auch dazu beitragen, dass entsprechende Angebote in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und in Zukunft vermehrt Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

Noch bis Montag, 30. September, werden Bewerbungen aus dem Kanton St. Gallen und beiden Appenzell entgegengenommen. Im Rahmen einer öffentlichen Verleihung werden die Gewinner am 11. Dezember bekanntgegeben. (nh)

www.proinfirmis.ch


Quelle: http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ostsc ... 94,3533191
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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren -was wird aus unseren anderen Kindern?

Beitrag von Beatrice » 23. Februar 2020, 20:03

Lehre mit Sehbehinderung

Anicia Rérat wusste schon als Kind, dass sie einmal Tierpflegerin werden wollte. Eine Lehrstelle zu finden war dann aber extrem schwierig - sie ist fast blind.
Ihre letzte Chance war "Johns kleine Farm"

Anicia Rérat erzählt:

Johns kleine Farm war meine letzte Chance

Anicia Rérat ist blind. Trotzdem geht ihr Wunsch, Tierpflegerin zu werden, in Erfüllung. Auf Johns kleiner Farm in Kallnach hat sie endlich eine Lehrstelle gefunden. Ein nicht alltägliches Lehrverhältnis.

von Rolf Marti

Ein Kollege aus der Berufsfachschule formuliert es so: «Wir alle verwirklichen unseren Wunsch und lernen Tierpfleger. Es gibt keinen Grund, Anicia diesen Wunsch zu verwehren, nur weil sie blind ist». Das leuchtet ein. Nur zeigt sich die Realität oft genug blind gegenüber unseren Wünschen. Das weiss auch Anicia Rérat. Für sie ist es deshalb keine Selbstverständlichkeit, dass sie heute auf Johns kleiner Farm am Stubentisch sitzt und ihre Geschichte erzählt. Aber alles schön der Reihe nach.

Eingeschränkte Möglichkeit

Anicia Rérat ist heute 18-jährig und seit ihrer Geburt stark sehbehindert. Ihre Schulzeit absolviert sie deshalb an der Blindenschule Zollikofen. Mit 14 Jahren steht die Berufwahl an. Anicia weiss: Das fehlende Augenlicht schränkt ihre Wahlmöglichkeiten ein. Ihr Berufsberater empfiehlt ihr eine kaufmännische Grundausbildung, weil sich diese besonders gut für blinde Menschen eigne. Anicia schnuppert Büroluft – und befindet sie ungeniessbar: «Ich kann nicht den ganzen Tag in Räumen sitzen». Ihr schwebt eine Arbeit mit Kindern oder Tieren vor. Eine Lehre als Kleinkinderzieherin (Fachfrau Betreuung) muss sie sich aber bald einmal aus dem Kopf schlagen: «Es ist schwierig, Kinder zu überwachen, wenn man nicht sieht, was sie gerade anstellen». Also Tierpflegerin, auch wenn alle abraten und kaum jemand daran glaubt, dass sie eine der wenigen Lehrstellen ergattern kann.

Absagen und Sprüche

Anicia sieht vor ihrem inneren Auge ein klares Ziel und tastet sich auf dem Weg dorthin mutig voran. Sie macht Schnupperlehren, schreibt Bewerbungen – und erntet Absagen und deplatzierte Sprüche. «Sie können es ja versuchen, aber es wird bestimmt schwierig», «Ich möchte Sie nicht im Spital besuchen müssen» und dergleichen. Schliesslich erinnert sie sich an Johns kleine Farm. Der aparte Kleinzoo im Seeländer Dorf Kallnach setzt andere Prioritäten. John Bauder hat ihn 1996 auf dem Grundstück eines alten Bauerngutes gegründet mit dem Ziel, sehbehinderten Menschen einen direkten Zugang zu Tieren zu ermöglichen. Heute leben auf Johns kleiner Farm gegen 200 Tiere: Kamele, Luchse, Dachse, Füchse, Hühner, aber auch Amphibien und Reptilien. Gepflegt werden die Tiere von 14 Mitarbeitenden. Drei haben ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis als Tierpfleger/-in, sieben absolvieren als Jugendliche oder Erwachsene die entsprechende Grundbildung. Auffällig: Die Biografien der Lernenden sind selten stromlinienförmig. Für John Bauder nichts Aussergewöhnliches. Alles andere wäre ihm nicht Herausforderung genug.

Kein leichtes Unterfangen

Nun sitzt Anicia Rérat am Stubentisch des alten Bauernhauses, das zu Johns kleiner Farmgehört, und erzählt von ihren Erfahrungen als Lernende. Zum Beispiel von der Berufsfachschule in Olten, wo sie den Unterricht mit ihren sehenden Kolleginnen und Kollegen besucht. Kein leichtes Unterfangen, denn viele Unterrichtsmaterialien setzen auf Grafiken und Bilder. Anicia ist froh, dass ihr die Blindenschule Zollikofen einen Coach zur Seite stellt. «Frau Glauser sorgt dafür, dass ich die Lehrmittel und Prüfungen in einem für mich lesbaren Format bekomme.» Anicias wichtigstes Hilfsgerät ist ihr Laptop: Ein Sprechprogramm liest ihr die Texte vor, und dank der so genannten Braillezeile kann sie diese bei Bedarf auch in Blindenschrift übersetzen lassen. «Es geht zackig voran in der Berufsfachschule», sagt Anicia, die aufgrund ihrer Sehbehinderung für alles etwas länger braucht. Um das Tempo mithalten zu können, steht ihr pro Woche zusätzlich ein halber Lerntag zur Verfügung. Zweiweitere Stunden setzt John Bauder für berufskundlichen Unterricht ein. Und wie reagieren die Mitschülerinnen und Mitschüler auf ihre blinde Kollegin? «Unterschiedlich. Einige unterstützen mich engagiert, andere wissen nicht, wie sie mit mir umgehen sollen.»

Ein erster wichtiger Schritt

Gute Aufnahme fand Anicia in ihrem Lehrbetrieb. Auch hier wurden Vorkehrungen getroffen, um der jungen Frau die Arbeit zu erleichtern: eine sprechende Waage oder ein sprechendes Thermometer zumBeispiel. «Mit Fantasie findet man immer eine Lösung, um Anicia zu unterstützen», sagt John Bauder. Trotzdem gibt es Arbeiten, die Anicia nicht alleine ausführen kann. Raubtiergehege putzen zum Beispiel. «Das wäre zu gefährlich für sie», erklärt John Bauder. Nach dem ersten Halbjahr ihrer Lehre wirkt Anicia Rérat abgeklärt: Die junge Frau weiss, was sie kann. Sie weiss aber auch, dass mit der Lehre ihre berufliche Integration noch nicht gesichert ist. «Es gibt wenig Betriebe, die bereit sind, eine blinde Tierpflegerin einzustellen», hält sie nüchtern fest. Um ihre Chancen zu verbessern, möchte sie sich auf Amphibien und Reptilien spezialisieren, weil diese in einem Terrarium und damit in einem für Anicia übersichtlichen Raum leben. Trotzdem ist sie froh, einen ersten entscheidenden Schritt auf ihrem Berufsweg gemacht zu haben: «Johns kleine Farm war meine letzte Chance, eine Lehrstelle in meinem Wunschberuf zu bekommen». Manchmal – so scheint es – hat die Realität doch ein Einsehen für unsere Wünsche und Träume.

Johns kleine Farm

1996 schuf John-David Bauder in Kallnach seinen eigenen kleinen Zoo, um insbesondere sehbehinderten Menschen einen direkten Zugang zu Tieren zu ermöglichen. Heute ist der Zoo auch für Familien ein kleines Paradies, in dem Kinder und Erwachsene mit Tieren und der Natur in Berührung kommen (Streichelanlage). Auf Johns kleiner Farm leben 55 verschiedene Tierarten. Seit 2007 leitet der Verein Johns kleine Farm die Geschicke des Zoos. Geschäftsführer ist John-David Bauder. Neben dem Engagement für die Tiere setzt sich der Verein auch zum Ziel, jungen Menschen mit erschwerten Startbedingungen den Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.

http://www.johnskleinefarm.ch

Quelle:
http://www.blindenschule.ch/index.php/a ... te-chance/
Veröffentlichung im Forum dank freundlicher Genehmigung von Christian Niederhauser Blindenschule Zollikofen/BE
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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren,IV-Anlehre -was wird aus unseren anderen Kindern?

Beitrag von Beatrice » 23. Februar 2020, 20:06

Hoi zäme

Die besonderen Kinder von einigen Usern sind hier nun schon in der Lehre. Evtl. wäre es hilfreich, hier einige Erfahrungsberichte lesen zu können.
Wie der Jugendliche zu der Lehrstelle kam? Welche Hürden es zu bewältigen gab? Wo man wirkliche Unterstützung erfuhr?
Ob den Neigungen des Jugendlichen Rechnung getragen wurde oder einfach eine Büro-Lehre aufgedrückt wurde? Und wie es dem Jugendlichen in der Lehre/ im Beruf geht?

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Ich bin auf ein grossartiges Angebot im deutschen Passau gestossen, bei welchem eine Körperbehindertenschule neue und erfolgreiche Wege geht, ihren ehemaligen Schülern eine Anstellung bzw. Ausbildungsmöglichkeit in der freien Wirtschaft zu ermöglichen
http://www.k-schule-passau.de/index.php ... =172&cat=2

Gibt es solche innovativen Schulen auch in der Schweiz? Wenn ja, wäre es sicher hilfreich für manche von Euch, das hier zu erfahren.

Gerade habe ich erfahren, dass eine Heilpädagogische Schule hier in der Region offenbar null Gehör hat, für diesbezügliche Sorgen von Eltern.
Das finde ich sehr bedenklich.

Weil ich auch ähnliche Erfahrungen machte mit der Institution IV, die mir zwar eine Umschulung aufdrängte, danach aber keinen Finger krumm machen woltte in der tatsächlichen Wiedereingliederung und Desinteresse total an den Tag legte, interessiert es mich auch persönlich. ob es in der Schweiz Stellen gibt, die weiter denken.

Liebe Grüsse

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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren,IV-Anlehre -was wird aus unseren anderen Kindern?

Beitrag von Beatrice » 2. Dezember 2020, 22:36

Velo Hubertus

Wir sind mehr als ein gewöhnlicher Veloladen.
Wir sind ein gemeinnütziger Betrieb und legen Wert auf die Verbindung von Ökologie und Sozialem. Deshalb bilden wir auch junge Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen aus. Aber sonst sind wir ein gewöhnlicher Veloladen und reparieren gerne Dein Velo oder lassen ihm einen Service zugute kommen. Im Übrigen verkaufen wir auch Fahrräder, natürlich möglichst nachhaltig produzierte, samt Zubehör. Komm doch mal vorbei!

https://www.velohubertus.ch/
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Re: Berufswahl/Lehrstellen/Schnupperlehren,IV-Anlehre -was wird aus unseren anderen Kindern?

Beitrag von Steana » 9. Februar 2021, 18:18

Gerne tausche ich mich hier aus:
wer hat Erfahrung mit der Berufswahl, wer hat Erfahrung im Kanton Aargau
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