Gescheiterte Integration und Neuanfang im anderen Kanton!

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tragos
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Gescheiterte Integration und Neuanfang im anderen Kanton!

Beitrag von tragos » 7. November 2010, 00:25

...möcht hier den Brief öffentlich machen....den wir an das erziehungsdepartement geschrieben haben....vielleicht kann er jemandem anderen hilfreich sein...FAZIT: ES LOHNT SICH ZU KÄMPFEN!!

Reaktion/Antwortschreiben zur Einschulung von F. in Goldach-SG

Sehr geehrte Damen und Herren
Wie Sie bestimmt wissen, haben wir am 8. April 2010 bei Herrn Arif Koc Regionalstellenleiter des Schulpsychologischen Dienstes des Kantons St. Gallen unseren Wunsch geäussert, dass unser Sohn F. den Regelkindergarten mit seinem Zwillingsbruder in Goldach besuchen darf.

Unser Gespräch mit Herrn Koc verlief ehrlich und offen. Wir erklärten Herrn Koc, obwohl F. unter einer leichten bis mittleren Cerebral Parese leidet ist er ein völlig mental gesunder und gescheiter Junge, welcher zwei Sprachen spricht, trocken ist und durch seine Therapien und seinen Zwillingsbruder täglich Fortschritte macht. Und aus unserer Sicht den Regelkindergarten besuchen sollte. Zu diesem ersten Gespräch war F. mit seinem Zwillingsbruder N. auch anwesend. Die Brüder spielten, während wir das weitere Vorgehen mit Herrn Koc besprachen.

Daraufhin schrieb Herr Koc am 12. April 2010 eine Zusammenfassung an den Schulrat in Goldach betreffend der Einschulungssituation von F..
Kurze Zeit später wurden wir von Schulsekretär zu einem Gespräch mit den Schulratspräsidenten Herr Gehrig und Frau Rausch geladen.

Leider konnte beim Treffen vom 26. April 2010 Frau Rausch nicht teilnehmen und somit beteiligten sich am Gespräch lediglich Herr Gehrig und Herr Sieber der Schulsekretär und wir Eltern H. & C. V..

Ganz zu Beginn des Gespräches wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Gespräch nichts entscheidet betreffend der Einschulung von F., sonder dass man die ganze Situation einfach mal von uns persönlich hören möchte, da man den Informationsbrief von Herrn Koc bereits gelesen hatte.

Mit gutem Gewissen und positiver Einstellung erklärten wir erneut unsere Situation resp. unseren Wunsch der Einschulung von F. in den Regelkindergarten. Wir plädierten auf eine Chance für F. oder einen reduzierten Besuch von 3 halbtagen, da die CP-Schule in St. Gallen bereits Ihre Hilfe mit einer Praktikantin an diesen Tagen zugesichert hatte.

Seltsam war, das dieses Gespräch so ziemlich schnell drauf hinaus lief „was würden wir machen im Falle der Schulrat negativ entscheiden würde.“ Verblüfft, aber doch bestimmt sagte mein Mann dass er nicht möchte dass unser Sohn uns in 15 Jahren mal fragt, wieso wir nicht alles versucht hätten ihn in eine „normale“ Schule zu integrieren. Meine Wenigkeit fügte hinzu das auch ein Kantonswechsel für das Wohle unserer Zwillinge in Frage käme. Daraufhin wurden wir belächelt und Herr Gehrig meinte zynisch, wir können F. ja zu ihm schicken, er würde ihm bestätigen dass wir es versucht hätten.

Ich weiss, nicht ob man sich vorstellen kann, wie man sich als Eltern in so einer Situation fühlt. Man geht voller Erwartung in so ein Gespräch und hofft nur um eine Chance, dass Zwillinge wenigstens den Kindergartenweg zusammen „gehen“ können. Wir haben dieses Gespräch als sehr unwürdig und erniedrigend entfunden. Und werden es wohl nie vergessen.

Vor allem da das Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung vorschreibt, dass jeder Mensch mit einer geistigen, körperlichen und psychischen Behinderung Recht auf eine ausreichende und bedürfnisgerechte Bildung hat. Zusätzlich werden mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) die Kantone dazu aufgefordert, genügend bedürfnisgerechte und vor allem integrative Schulungsformen zu fördern.

Am 4. Mai 2010 bekamen wir dann das Schreiben von Herrn Gehrig des Schulpräsidenten und seines Sekretärs Herrn Sieber im Sinne einer Verfügung in welcher man betont, dass F. besser in einer Sonderschule aufgehoben wäre. Wobei man sich sehr auf die Aussage des CP-Schulleiters in St. Gallen Herrn Sepp Sennhauser stützt, welcher eine 1:1 Betreuung für F. vorsieht und dementsprechend auch sein Personal zu 3 halbtagen im Regelkindergarten zur Verfügung stellt.
Nach der grossen Ernüchterung und der Enttäuschung lädt uns Herr Koc, zur unserer Verwunderung, prompt am 17. Mai 2010 zu einem erneuten Gespräch ein. Diesmal mit unserem kleinsten im Mai 2010 geboren Sohn aber ohne unsere Zwillinge. Herr Koc erklären wir unsere Enttäuschung und die Situation bei uns zu Hause. Das z. B. der „gesunde“ Zwillingsbruder von F. nicht verstehen kann, wieso sein Bruder nicht mit ihm in den Kindergarten darf. Da sie ja bereit zusammen die Spielgruppe besuchen und F. dazu gehört. Herr Koc überredet uns aber doch die CP-Schule in St. Gallen zu besuchen uns ein Bild von dieser Schule zu machen.

Was uns aber auch hier stutzig machte, zweimal wurden wir von Herrn Koc geladen, besser gesagt zum Schulpsychologischen Dienst des Kantons St. Gallen Beratung und Diagnostik. Beraten wurden wir zwar aber F. wurde nie von dieser Stelle Diagnostiziert.

Kurz darauf gehen wir dem Rat von Herrn Koc trotz allem nach und besuchen die CP-Schule in St. Gallen, welche unser Sohn gemäss Schulrat Goldach besuchen sollte. Der Schulleiter Herr Sennhauser nimmt sich die Zeit und zeigt uns nach einem ausführlichen Gespräch die Schule. Ohne herablassend zu klingen, aber unsere „Ohnmacht“ ist danach noch grösser. Es mag zwar sein, dass diese Schule für einige doch sehr fördernd ist. Und wir haben grosses Mitgefühl mit diesen Schülern und deren Eltern. Aber unseres Erachtens wäre unser Sohn dort fehl am Platz, wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt.

Am 10. Juni 2010 erhalten wir erneut einen eingeschriebenen Brief vom Schulrat in Goldach. Wie die Briefe zuvor öffnen wir auch diesen, gemeinsam und vorsichtig da die letzte Enttäuschung noch nicht lange zurück liegt. Hiermit erhalten wir eine definitive Entscheidung vom Schulrat in Goldach, wo Herr Gehrig uns wieder die Einschulung in den Regelkindergarten von F. ablehnt und eine Sondereinschulung vorzieht.

Meine lieben Damen und Herren nun stellen wir uns als Eltern doch einige Fragen wie z. B.

-Wer hat so viel Mut und Kompetenz über das Schicksales eines Menschen und seiner Zukunft zu entscheiden?
-Wer kann behaupten das F. sein Leben lang krank sein muss und keine Fortschritte machen kann?
-Wer kann entscheiden das ein behindertes Kind kein Anrecht, keine Chance verdient hat in einer „normalen“ Umgebung aufzuwachsen?
-Wieso werden einige Aussagen von Fachleuten vorgezogen und andere wie z. B. einer Physiotherapeutin welche F. über mehrere Jahre eins bis zweimal die Woche betreute nicht?
-Wieso wird die Spielgruppenleiterin nicht befragt, wie sie die Integration empfindet?
-Wieso baut man Schule wie z. B. das Schulhaus Bachfeld behindertengerecht um, wenn man doch keine Behinderten wünscht?
-Welche Person kann über eine Sondereinschulung für F. entscheiden ohne ihn je gesehen oder untersucht zu haben?

Herr Gehrig stütz sich im Gesamthaften auf den Artikel 37 Volksschulgesetz.
Wir würden uns wohl auf den Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention stützen welchen bis jetzt schon 140 Staaten unterzeichnet und 62 Staaten ratifiziert haben. Diese Konvention ermöglicht körperbehinderten Menschen eine integrative Schulung und Gleichendlichkeit mit den anderen „normalen“ Menschen.

Vielleicht sind für Sie diese Fragen leicht zu beantworten. Uns beschäftigen Sie aber seit wir den negativen Bescheid von der Schulgemeinde erhalten haben.

Gerne würden wir auch in diesem Schreiben über diese Fragen weiter diskutieren. Wir möchten nur sagen, es geht hier nicht um ein Objekt sondern um einen Menschen. Einen 4 ½ jährigen Menschen mit einer Körperbehinderung welcher grosse Fortschritte macht, aber kein Anrecht in Goldach auf Integration hat.

Deshalb wurden wir indirekt gezwungen, uns eine neue Heimat zu suchen. Wo unsere Söhne, egal ob besser oder schlechter eine Chance verdient haben. Somit haben wir für uns, für unsere Familie entschieden per 1. September 2010 den Kanton zu wechseln. Es ist der schwierigere Weg aber unsere Zwillinge sind wieder glücklich und freuen sich mit uns auf unsere neue Gemeinde.

In einem Buch ist uns ein interessantes Zitat von Dr. Wilhelm Pfeffer ins Auge gefallen. Welches sich wohl jeder mal Gedanken darüber gemacht haben sollte.

„Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.“

In diesem Sinne verabschieden wir uns und verbleiben mit freundlichen Grüssen



C. & H. V.
Flavia
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Beitrag von Flavia » 7. November 2010, 21:50

Bin gerade erstaunt über euren sehr guten Brief! Sachlich und mit sehr guten Gründen, ich glaube ich hätte das nicht hingekriegt!

Habt ihr nach diesem Brief immer noch (vom Erziehungsdepartement)negativen Bescheid erhalten?

Ich bin immer wieder erstaunt wie sich gewisse Leute anmassen zu glauben, sie wissen was für wen gut ist, einfach so vom Bürotisch aus...

Wenn ich all die Geschichten über integration lese bin ich manchmal fast froh dass dies bei uns nicht zur Diskussion stand...und dass unser Sohn das nicht mitbekommt!!
Auch traurig dass es an einigen Orten ohne Probleme klappt und an anderen (glaub schon bald an den meisten) nur mit Problemen behaftet ist!

Ich hoffe dass ihr euren Weg findet! GLG Flavia
tragos
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Beitrag von tragos » 8. November 2010, 10:23

Liebe Flavia,

da könnt ihr wahrscheinlich wirklich froh sein, musste euer Junge nicht das selbe durchmachen wie unserer.

Der Brief ist wahrscheinlich gramatisch nicht sehr korekt aber mein Mann und ich haben ihn gemeinsam geschrieben und versucht unsere Wut und Trauer irgendwie sachlich und ehrlich auf Papier zu bringen.

Der Antwortbrief von Erziehungsdepartement, war so "por forma". Sie verstehen uns, überlassen den Gemeinden ob sie für eine Integration bereit sind oder nicht. Wir können aber vom Rekurs gebrauch machen und bla bla bla....

Ja ja, gute Jobs, hohe Löhne aber kein Herz. Sollte nicht globalisieren, aber so empfinde ich es. In dieser ganzen Zeit, meinte nur eine einzige Person vom Sozialdienst. "Ich verstehe sie, stehe voll und ganz hinter ihnen und möchte ihnen helfen". Und das bei so vielen "Fachleuten". Leider stand unser Umzug da bereits schon fest.

Wünsch dir einen schönen Tag und liebe Grüsse

Carmen und Co.
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