Mein Bruder - Das Band zwischen Geschwistern zerreisst....
Verfasst: 26. August 2014, 20:59
Hallo
Ich bin keine Mutter oder Vater eines Kindes, sondern ich bin eine kleine Schwester. Mein grosser 5 Jahre älterer Bruder ist im Kindesalter an NCL (Neuronale Ceroid Lipofuszinose) erkrankt. Heute ist er 22 Jahre alt.
Jetzt bin ich froh ein solches Forum gefunden zu haben, auch wenn es scheint, dass ich trotzdem nicht ganz am richtigen Ort bin, aber ein Forum für Geschwister für "das andere Kind" zu finden erwies sich für mich als äusserst schwierig.
Ich habe Angst! Manchmal unterdrücke ich meine Angst, manchmal vergesse ich meine Angst und manchmal ersticke ich fast an meiner Angst. Gleichzeitig bin ich dankbar. Ich wäre jetzt nich so wie ich bin, wenn mein Bruder keine Behinderung hätte. Aber zur selben Zeit fällt es mir schwer dankbar zu sein und Gefühle des Mitleids überollen mich. Ich habe das Gefühl mein Leben könnte ich unterteilen in verschiedene Phasen der Gefühle gegenüber meinem Bruder. Das schlimmste ist das ich beginne den Bezug zu meinem bruder zu verlieren.
Damit ihr mein wirres Gerede versteht, erzähle ich kurz meine Geschichte, und die meiner Familie.
Ich wuchs auf in einem Dorf - jeder kannte jeden. NCL ist eine sehr seltene Krankheit, so viel ich weiss. Das ist wohl auch der Grund wieso die Krankheit von meinem Bruder so spät entdeckt wurde. Ich war noch ganz klein als mein Bruder langsam sein Augenlicht verlor und noch nicht klar war welche Krankheit in ihm lauerte. Meinen Kolleginnen antwortete ich auf die Frage:" Was hat eigentlich dein Bruder?""Er ist sehbehindert." Aber ich wusste doch nicht mal was das heisst - sehbehindert - denn ich interpretierte das Wort als Seebehindert Damit will ich euch sagen, dass ich lange lange nicht verstand was da passierte in meiner Familie. Mein Bruder war sehr oft ganz laut und ich verkroch mich oft unter dem Esstisch während dem Mittagessen oder in meinem Zimmer. Meistens gab es nie Ruhe in unserem Haus sondern nur permanente Geräusche. Nicht mal Ohren zu halten half da. Ich hatte das Gefühl ich könnte wahnsinnig werden.
Stell dir vor du hast einen grossen Bruder, aber irgendwann merkst du wie du zur grossen Schwester wirst.
Es gab eine Zeit, in der ich gut wusste wie ich mit meinem Bruder umgehen musste. (Anders ausgedrückt wusste ich als einzige wie man ihn "zähmen" konnte) Rund um die Uhr waren Betreuer und Betreuerinnen in unserem Haus (jeweils 1 Person). Also Privatsphäre war für mich eigentlich praktisch nie vollkommen da. Es gab oft Situationen in denen ich meinen Bruder z.B aus dem Badezimmer locken musste. Jetzt im Nachhinein merke ich dass ich ihn sozusagen nur "erpresst" hatte. Das tut mir weh, jetzt wo ich älter bin und das Verständnis habe. Z.B sagte ich "wenn du raus kommst bekommst du ein Eis" auch wenn es nicht stimmte. Ich dachte mir nicht viel dabei, denn Geschwister streiten und lieben sich.
Die Betreuer waren ein weiteres Problem für mich. Meine Eltern organisierten dass so, damit sie auch Zeit für mich hatten und damit ich mich nicht vernachlässigt fühlte (was ich später erfuhr). Ich kam heim von der Schule und war dann immer mal wieder wütend, was ja ganz normal ist. Aber wenn man dann nach Hause kommt hat man dann keine Lust immer "Fremde - also die Betreuer" angrinsen zu müssen und freundlich zu sein. Auch verlor ich dur die Betreuung praktisch rund um die Uhr den Bezug zu meinem Bruder.
Immer war jemand da und fütterte ihn, pflegte ihn, gestaltete seine Freizeit...das ganze Programm eben. Ich konnte förmlich beobachten wie seine Entwicklung sich verschlechterte. Irgendwann konnte er nähmlich nicht mehr gehen sondern war nur noch im Rollstuhl. Ich konnte zusehen wie er das Sprechen und das Gehen verlernte...wie er alles verlernte, sogar das atmen wird für ihn immer schwieriger. Schon komisch wenn man das nicht mal richtig kapierte. So ging das viele Jahre lang so weiter. Erst in der dritten Oberstufe, ich glaube da war ich so 14 oder 15 Jahre alt begann ich ich zu verstehen was genau mein Bruder hatte. Ich erarbeitete es in einem Vortrag. Dort lernte ich vieles über die Krankheit NCL.
Es war schwierig. Es war wirklich schwierig. Ab und zu weinte ich in der Nacht im Bett. Manchmal weinte ich aus Wut. Manchmal weinte ich aus Mitleid und manchmal weinte ich aus Eifersucht gegenüber meinen Freundinnen. Ich sah doch wie sie mit ihren älteren Brüdern rammelten und spielten. Und ich? Ich konnte nicht mit meinem Bruder rammeln, er war doch viel zu verletzlich. Ich fühle mich wie ein Einzelkind.
Ich weine so gut wie nie (ich kanns nicht). Nur wenn ich alleine bin, aber auch dann nur selten. Mit meinen Eltern habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Aber ich weine nie bei ihnen. Niemals. Ich würde gerne, aber ich KANN ES NICHT. Es ist so als hindert mich meine Vergangenheit daran. Obwohl ich das auch früher nicht konnte. Heute wohnt mein Bruder in einem Wohnheim für Beeinträchtigte Menschen. Zufälligerweise absolviere ich genau dort meine kauffmännische Lehre was schön und gleichzeitig auch sehr schwierig ist.
Es tut mir Leid, ich gebe mir Mühe klar zu schreiben, aber in meinem Kopf geht im Moment so viel vor dass ich es einfach nicht schaffe und deshalb kreuz und quer schreibe.
Nun eigentlich bin ich hier um etwas von jemandem zu lesen der mich versteht. Irgendwas, ich weiss es nicht. Aber ich brauche einen Ort, also hier, wo mich Leute verstehen können. Denn meine Freunde haben zwar Mitleid mit mir und helfen mir aber sie können sich einfach nicht vorstellen wovon ich rede. Und bei meinen Eltern gibt es gewisse Dinge die ich ihnen nicht unter die Nase reiben kann. Ich möchte aber jetzt nicht hören dass sie sich sicher wünschen dass ich Ihnen meine Probleme erzähle, aber ich weiss das, trotzdem kann ich es nicht! Deshalb schreibe ich jetzt hier.
Aber der hauptsächliche Grund wieso ich schreibe ist eigentlich:
- Mein Bruder stirbt, seit er geboren ist. Er verlernt immer mehr. Zwischen seinen häufigen Epileptischen Anfällen verkürzt sich seine Lebenserwartung immer radikaler. Er ist dem Tod immer näher weil er sich immer häufiger verschluckt. Und immer schlechter atmen kann. Was soll ich machen wenn er tot ist? Dann ist er nicht mehr da. Und ich sehe ihn doch so selten. Ich könnte ihn zwar häufig sehen, aber davor habe ich immer Angst.
Grundsätzlich bin ich glücklich und stabil, aber vielleicht auch nur weil ich oft meine Gefühle unterdrücke. Und meinem Bruder geht es, abgesehen von seiner Krankheit NCL gut. Er wird exzellent betreut.
Für irgendeine Antwort wäre ich sehr dankbar.
Ich bin keine Mutter oder Vater eines Kindes, sondern ich bin eine kleine Schwester. Mein grosser 5 Jahre älterer Bruder ist im Kindesalter an NCL (Neuronale Ceroid Lipofuszinose) erkrankt. Heute ist er 22 Jahre alt.
Jetzt bin ich froh ein solches Forum gefunden zu haben, auch wenn es scheint, dass ich trotzdem nicht ganz am richtigen Ort bin, aber ein Forum für Geschwister für "das andere Kind" zu finden erwies sich für mich als äusserst schwierig.
Ich habe Angst! Manchmal unterdrücke ich meine Angst, manchmal vergesse ich meine Angst und manchmal ersticke ich fast an meiner Angst. Gleichzeitig bin ich dankbar. Ich wäre jetzt nich so wie ich bin, wenn mein Bruder keine Behinderung hätte. Aber zur selben Zeit fällt es mir schwer dankbar zu sein und Gefühle des Mitleids überollen mich. Ich habe das Gefühl mein Leben könnte ich unterteilen in verschiedene Phasen der Gefühle gegenüber meinem Bruder. Das schlimmste ist das ich beginne den Bezug zu meinem bruder zu verlieren.
Damit ihr mein wirres Gerede versteht, erzähle ich kurz meine Geschichte, und die meiner Familie.
Ich wuchs auf in einem Dorf - jeder kannte jeden. NCL ist eine sehr seltene Krankheit, so viel ich weiss. Das ist wohl auch der Grund wieso die Krankheit von meinem Bruder so spät entdeckt wurde. Ich war noch ganz klein als mein Bruder langsam sein Augenlicht verlor und noch nicht klar war welche Krankheit in ihm lauerte. Meinen Kolleginnen antwortete ich auf die Frage:" Was hat eigentlich dein Bruder?""Er ist sehbehindert." Aber ich wusste doch nicht mal was das heisst - sehbehindert - denn ich interpretierte das Wort als Seebehindert Damit will ich euch sagen, dass ich lange lange nicht verstand was da passierte in meiner Familie. Mein Bruder war sehr oft ganz laut und ich verkroch mich oft unter dem Esstisch während dem Mittagessen oder in meinem Zimmer. Meistens gab es nie Ruhe in unserem Haus sondern nur permanente Geräusche. Nicht mal Ohren zu halten half da. Ich hatte das Gefühl ich könnte wahnsinnig werden.
Stell dir vor du hast einen grossen Bruder, aber irgendwann merkst du wie du zur grossen Schwester wirst.
Es gab eine Zeit, in der ich gut wusste wie ich mit meinem Bruder umgehen musste. (Anders ausgedrückt wusste ich als einzige wie man ihn "zähmen" konnte) Rund um die Uhr waren Betreuer und Betreuerinnen in unserem Haus (jeweils 1 Person). Also Privatsphäre war für mich eigentlich praktisch nie vollkommen da. Es gab oft Situationen in denen ich meinen Bruder z.B aus dem Badezimmer locken musste. Jetzt im Nachhinein merke ich dass ich ihn sozusagen nur "erpresst" hatte. Das tut mir weh, jetzt wo ich älter bin und das Verständnis habe. Z.B sagte ich "wenn du raus kommst bekommst du ein Eis" auch wenn es nicht stimmte. Ich dachte mir nicht viel dabei, denn Geschwister streiten und lieben sich.
Die Betreuer waren ein weiteres Problem für mich. Meine Eltern organisierten dass so, damit sie auch Zeit für mich hatten und damit ich mich nicht vernachlässigt fühlte (was ich später erfuhr). Ich kam heim von der Schule und war dann immer mal wieder wütend, was ja ganz normal ist. Aber wenn man dann nach Hause kommt hat man dann keine Lust immer "Fremde - also die Betreuer" angrinsen zu müssen und freundlich zu sein. Auch verlor ich dur die Betreuung praktisch rund um die Uhr den Bezug zu meinem Bruder.
Immer war jemand da und fütterte ihn, pflegte ihn, gestaltete seine Freizeit...das ganze Programm eben. Ich konnte förmlich beobachten wie seine Entwicklung sich verschlechterte. Irgendwann konnte er nähmlich nicht mehr gehen sondern war nur noch im Rollstuhl. Ich konnte zusehen wie er das Sprechen und das Gehen verlernte...wie er alles verlernte, sogar das atmen wird für ihn immer schwieriger. Schon komisch wenn man das nicht mal richtig kapierte. So ging das viele Jahre lang so weiter. Erst in der dritten Oberstufe, ich glaube da war ich so 14 oder 15 Jahre alt begann ich ich zu verstehen was genau mein Bruder hatte. Ich erarbeitete es in einem Vortrag. Dort lernte ich vieles über die Krankheit NCL.
Es war schwierig. Es war wirklich schwierig. Ab und zu weinte ich in der Nacht im Bett. Manchmal weinte ich aus Wut. Manchmal weinte ich aus Mitleid und manchmal weinte ich aus Eifersucht gegenüber meinen Freundinnen. Ich sah doch wie sie mit ihren älteren Brüdern rammelten und spielten. Und ich? Ich konnte nicht mit meinem Bruder rammeln, er war doch viel zu verletzlich. Ich fühle mich wie ein Einzelkind.
Ich weine so gut wie nie (ich kanns nicht). Nur wenn ich alleine bin, aber auch dann nur selten. Mit meinen Eltern habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Aber ich weine nie bei ihnen. Niemals. Ich würde gerne, aber ich KANN ES NICHT. Es ist so als hindert mich meine Vergangenheit daran. Obwohl ich das auch früher nicht konnte. Heute wohnt mein Bruder in einem Wohnheim für Beeinträchtigte Menschen. Zufälligerweise absolviere ich genau dort meine kauffmännische Lehre was schön und gleichzeitig auch sehr schwierig ist.
Es tut mir Leid, ich gebe mir Mühe klar zu schreiben, aber in meinem Kopf geht im Moment so viel vor dass ich es einfach nicht schaffe und deshalb kreuz und quer schreibe.
Nun eigentlich bin ich hier um etwas von jemandem zu lesen der mich versteht. Irgendwas, ich weiss es nicht. Aber ich brauche einen Ort, also hier, wo mich Leute verstehen können. Denn meine Freunde haben zwar Mitleid mit mir und helfen mir aber sie können sich einfach nicht vorstellen wovon ich rede. Und bei meinen Eltern gibt es gewisse Dinge die ich ihnen nicht unter die Nase reiben kann. Ich möchte aber jetzt nicht hören dass sie sich sicher wünschen dass ich Ihnen meine Probleme erzähle, aber ich weiss das, trotzdem kann ich es nicht! Deshalb schreibe ich jetzt hier.
Aber der hauptsächliche Grund wieso ich schreibe ist eigentlich:
- Mein Bruder stirbt, seit er geboren ist. Er verlernt immer mehr. Zwischen seinen häufigen Epileptischen Anfällen verkürzt sich seine Lebenserwartung immer radikaler. Er ist dem Tod immer näher weil er sich immer häufiger verschluckt. Und immer schlechter atmen kann. Was soll ich machen wenn er tot ist? Dann ist er nicht mehr da. Und ich sehe ihn doch so selten. Ich könnte ihn zwar häufig sehen, aber davor habe ich immer Angst.
Grundsätzlich bin ich glücklich und stabil, aber vielleicht auch nur weil ich oft meine Gefühle unterdrücke. Und meinem Bruder geht es, abgesehen von seiner Krankheit NCL gut. Er wird exzellent betreut.
Für irgendeine Antwort wäre ich sehr dankbar.